Die ersten Jahre

TaW e.V.: Wir haben es geschafft!


Ein Märchen wird wahr

Es war einmal ein altes Kino und Theater, das dämmerte am Rande der Altstadt eines liebenswerten Münsterländer Städtchens dahin. Die Tapeten blätterten sachte von den Wänden, das Gestühl im großen Kinosaal knarrte und krachte auch schon einmal unter der Last seiner wenigen treuen Besucher zusammen, in die Toilettenanlagen im muffigen Keller traute man sich nur in großer Not. Und als der hochweise Rat der Stadt eine Reihe von Theaterveranstaltungen in diesem Haus nicht weiter aus dem schmalen Stadtsäckel mitfinanzieren wollte, da schien der Tag nicht mehr fern, wo die Abrissbirne dem in die Jahre gekommenen Hort der heimischen Kultur den Garaus macht.
Doch nun standen ein paar wackere Bürger auf und riefen: „Nein! Nein! Wir brauchen es doch, unser einziges Theater!“ Sie riefen so laut, dass es der Landesfürst hörte und dessen Kultusministerin sagte: „Ja! Ja! Recht haben sie, die braven Leute!“ Sie schaute in ihre Schatulle und versprach ihnen einen ordentlichen Batzen Geld. Und als nur 8 Jahre ins Land gegangen waren, da strahlte das Theater in neuem Glanze, dass es der ganzen Bürgerschaft eine reine Freude war.
Ein Märchen? Nein, alles wahr! Aber wer vor 10 Jahren vorausgesagt hätte, im Jahre 2004 würde das Theater am Wall nach einer kompletten Renovierung - längst erweitert um eine Kleinkunstbühne - neu eröffnet werden, der wäre wohl von manchem als Märchenerzähler belächelt worden. Doch so glatt wie im Märchen lief das natürlich nicht, und um die Freude über das Erreichte voll auszukosten, lohnt es sich noch einmal in die finsteren Zeiten Mitte der 90er Jahre zurückzublicken.
Ein eisiger Wind strich um das alte Gemäuer, zwar zum Denkmal – als Kino der 50er Jahre - erhoben, aber schäbig anzusehen. Viele – auch solche, die heute kräftig mitjubeln - hatten das alte Kino/Theater
längst achselzuckend abgeschrieben. Der Kinobetrieb war schon einige Jahre eingestellt, nur gelegentlich brachten Limes mobile und die Gymnasien mit ihren Musicals neues Leben ins Haus. Als dann der Rat beschloss den „Kulturring“, eine Veranstaltungsreihe mit 8 Schauspielen, nicht mehr mitzufinanzieren, weil die Besucherzahlen stark rückläufig waren, war das Ende des Hauses eingeläutet. Denn wo keine regelmäßige Nutzung gegeben ist, da verliert auch die sonst so mächtige schützende Hand des Denkmalpflegers ihre Kraft. Die Kommunalpolitiker hatten mit großer Mehrheit das Theater praktisch aufgegeben.

Die Gründerconnection

Natürlich gefiel diese Aussicht vielen Kulturbeflissenen überhaupt nicht. Kein Theater mehr in Warendorf, das bedeutete: kein professionelles Angebot mehr für die interessierten Bürger vor Ort, das Aus für begeisternde kreative Aktionen wie etwa die Musicalproduktionen der Schulen und damit ein Verkümmern des kulturellen Lebens in der Stadt. Da wurde im Stillen so manche Faust geballt oder im kleinen Kreis über die banausigen Stadtoberen die Nase gerümpft.
Doch zum Glück blieb es nicht dabei. Schon Jahre zuvor hatten Kristof Neukötter und seine freie Theatergruppe „Limes mobile“ sich Sorgen um die Zukunft des maroden Hauses gemacht und ein paar Leute um sich versammelt, mit denen man im Gespräch eben diese Sorgen teilen konnte. Konkretes ergab sich daraus nicht, aber jetzt wurde es ernst; jetzt drohte nicht nur der allmähliche Verfall des Hauses, jetzt rollte der Abrissbagger heran oder ALDI und Konsorten durften den schnöde missachteten Kulturtempel entweihen.
Eins machte sich die zunächst kleine Schar von Theaterfreunden klar: Wenn wir die Entscheidungsträger überzeugen wollen, dass das Theater am Wall erhalten bleiben muss, dann nützen noch so kluge Worte, von wenigen vorgebracht, wenig. Der erste Schritt war nicht schwer: Heimatverein, Altstadtfreunde und Mischkultur waren leicht dafür gewonnen, den Erhalt des Theaters zu ihrem eigenen Anliegen zu machen. Und so wurden diese Vereine mit ihren weit über tausend Mitgliedern – zusammen mit Limes mobile – die Gründerväter/-mütter von „TaW e.V. Verein zur Erhaltung des Theater am Wall und zur Förderung der lokalen Kultur“. Erster Vorsitzender wurde Kristof Neukötter.

TaW e.V. zeigt, was geht

Aber die Existenz eines Vereins – gegründet im April 1996 - allein überzeugt natürlich noch niemanden, sie wird am Rande registriert und geht im Alltagsgeschäft unter. Viel stärker, als man sich das heute – Gott sei Dank – noch vorstellen mag, hatte sich in den Köpfen vieler Kommunalpolitiker – und das in allen Fraktionen - festgesetzt, dass man auf so ein Theater mit seinen ständigen Kosten doch gut verzichten könnte. Die Zeiten des allgemeinen Schulterklopfens uns TaW-Aktiven gegenüber waren noch fern. Zunächst musste dafür gesorgt werden, dass wir überhaupt ins Gerede kamen. Schrille Aktionen mit schwarzen Fahnen und einer symbolischen Grablegung des Theaters haben nicht jedem gefallen, sie haben aber Aufmerksamkeit erzwungen. Und sie hatten vor allem deswegen ihren guten Sinn, weil sie nicht bloße, selbstgerechte Provokation waren, sondern sofort begleitet wurden von konstruktiven Angeboten. Uns war klar, dass wir vor allem eins zeigen mussten: Das liebenswerte Denkmal Theater am Wall – als Kino der 50er Jahre - kann viel mehr bieten als bisher, also für die Bürgerschaft weit größeren Nutzen haben.
Ein Nutzungskonzept wurde erarbeitet, das weitere Nutzungsmöglichkeiten beschrieb: Kleinkunst (Kabarett, Chanson, Figurentheater, szenische Lesungen...), eine feste Amateurtheatergruppe, Tanz, Wiederbelebung des Kinobetriebs als Programmkino, Konzerte in verschiedenen musikalischen Bereichen. Dieses Konzept im Kulturausschuss und überhaupt in der Öffentlichkeit vorzustellen, war ein guter Schritt; wirkungsvoller aber war sicher die von TaW e.V. verantwortete Veranstaltungsreihe „taw á la carte“. Profis und heimische Aktive haben von Ende August bis Anfang November 1996 für Zuschauer unmittelbar greifbar gemacht, was das Haus interessierten Warendorfern außer dem traditionellen Theater noch alles bieten kann.
Von Anfang an war uns auch klar, dass das Veranstaltungsangebot ergänzt werden musste durch Bemühungen, die das „Drumherum“ verbesserten, die den Theaterbesuch in eine freundliche, anregende Atmosphäre einbetteten und so noch mehr zum Erlebnis werden ließen: Deshalb starteten wir schon bei den letzten Aufführungen des auslaufenden „Kulturrings“ unser Theater-Café.

Was können wir in Zukunft tun?

In diesen Monaten spürten wir, dass die Front der Verweigerer zu bröckeln begann. Es ergaben sich Kontakte zu maßgeblichen Vertretern in der heimischen Politik, denen Kulturarbeit überhaupt und damit auch das Theater besonders am Herzen lagen, und bei uns wuchs die Zuversicht, dass mit vereinten Kräften unser geliebtes Haus zu retten war. Eins war uns dabei auch schnell klar: Wenn das Theater eine Chance haben sollte, dann mussten engagierte Bürger – also wir - bereit sein, auch langfristig ein großes Stück Mitverantwortung zu übernehmen - das hieß konkrete Aufgaben übernehmen, Arbeiten ehrenamtlich leisten, die in anderen Kommunen ganz selbstverständlich die öffentliche Verwaltung wahrnimmt.
Bei dem Angebot, das wir der Öffentlichkeit machen mussten, das rechte Maß zu finden - sich genügend zuzutrauen, selbstbewusst inhaltliche Gestaltungsmöglichkeiten zu beanspruchen, aber auch die Grenzen der eigenen Möglichkeiten realistisch einzuschätzen - , das war vielleicht die
schwierigste und wichtigste Aufgabe der gesamten Vereinsarbeit. Im Rückblick darf man wohl sagen, dass wir hier eine gute Hand hatten. Der nach taw á la carte neu zusammengesetzte Vorstand arbeitet seit 8 Jahren fast ohne personelle Veränderungen mit ungebrochenem Elan, auch die vielen übrigen
Aktiven sind zumeist seit Jahren mit viel Spaß dabei und immer wieder stoßen Neue dazu, die gerne mitarbeiten. Und so vollzieht sich unsere Arbeit im Wesentlichen auf drei Feldern: Gestaltung des Programms, Begleitung der Veranstaltungen vor allem durch das Theatercafé und Beratung des Hausherrn, der Stadt Warendorf, bei baulichen Maßnahmen. Für die Programmarbeit erhalten wir einen fixen Zuschuss – der weit unter den Aufwendungen für den alten „Kulturring“ liegt. Die Instandhaltung des Hauses sowie die finanzielle Abwicklung der Veranstaltungen und die Abonnementverwaltung bleiben
Aufgabe der Stadt.

Es geht los

Eine Phase der Diplomatie begann. Wir mussten ja nicht nur uns selbst darüber klar werden, was wir leisten konnten und wollten, wir mussten auch ausloten, was politisch durchsetzbar war. In zahlreichen privaten Gesprächen und vor allem in einer systematischen Gesprächsrunde mit allen Fraktionsvorständen versuchten wir intensive Überzeugarbeit zu leisten. Dabei wurde klar, dass die
Fronten zwischen den Skeptikern und denen, die uns den Rücken stärkten, quer durch fast alle Fraktionen liefen. Keine Partei darf bei der Rettung des Theaters einseitig eine Vorreiterrolle beanspruchen. Wir mussten sogar Versuche abwehren, uns die komplette unternehmerische Verantwortung für das Theater und was dort geschieht aufzuladen – zur Entlastung des städtischen Haushalts.
Schließlich setzte sich aber überall die Überzeugung durch, es uns zumindest für eine Spielzeit einmal versuchen zu lassen. Und so kam es am 28. Mai 1997 zur feierlichen Unterzeichnung des Kooperationsvertrags zwischen der Stadt Warendorf und dem TaW e.V., der noch heute die bewährte juristische Grundlage unserer Zusammenarbeit ist. Bürgermeister Theo Dickgreber und der neue Vereinvorsitzende Clemens Wallmeier nahmen dazu im historischen Ratssaal Platz.

Vom Segen guter Partnerschaft

Ob ein Kooperationsvertrag die beste juristische Form ist um die Zusammenarbeit zu regeln, kann man auch heute noch fragen. Wir hatten zunächst ein GbR-Modell favorisiert, ein umfangreicher Vertragsentwurf liegt noch vor. Wenn wir uns aber in den letzten Jahren nur wenig Gedanken über juristische Details gemacht haben, so hat das vor allem folgenden sehr erfreulichen Grund: Die Zusammenarbeit zwischen uns und dem Sachgebiet Kultur der Stadt ist nicht nur problemlos, sie ist sogar so ausgesprochen gut, dass in der gemeinsamen Arbeit eigentlich nie jemand kleinlich nach Zuständigkeiten und Pflichten fragt.
Der Erfolg unserer Vereinsarbeit ist ganz wesentlich auch darin begründet, dass sich ein selbstverständliches Hand-in-Hand-Arbeiten eingespielt hat, von dem beide Seiten und damit auch alle Besucher des Theater am Wall profitieren. Die gesamte erfolgreiche Entwicklung des Theater am Wall und des kulturellen Lebens in ihm hat eine wesentliche Ursache in dieser intensiven vertrauensvollen Zusammenarbeit von Sachgebiet Kultur der Stadt Warendorf und TaW e.V.

Gerettet

Zurück zur Situation Ende der 90er. Mit der Unterzeichnung des Kooperationsvertrags war der Abrissbagger zwar zunächst einmal verscheucht, langfristig war damit der Erhalt des in manchen Bereichen maroden Gebäudes aber noch nicht gesichert. Mehr als dringlichste Instandsetzungen schienen aus der Stadtkasse kaum finanzierbar. Und was war, wenn der TÜV mal wieder vorbeischaut und strenge Auflagen setzt, deren Karenzzeit irgendwann auch abläuft?
Da tauchte am Horizont ein großer Geldsack auf, der wunderbarerweise auch für uns gefüllt zu sein schien. Das Land Nordrhein-Westfalen stellte für Maßnahmen zur Stadtentwicklung historischer Altstädte eine 70%-Förderung in Aussicht. Voraussetzung war, dass diese Maßnahmen aus besonderem bürgerschaftlichem Engagement erwuchsen.
Das war es: Nicht die Kommune, aber wir als engagierte Bürger hatten Zugriff auf diesen Geldsack, wenn es gelang ein überzeugendes Konzept vorzulegen. Also wurden Förderanträge geschrieben, Kontakte geknüpft, Gespräche geführt; eine Ministerin kam vor Ort, hohen Ministerialbeamten wurde kreatives Warendorfer Kulturleben vorgeführt.
Der Erfolg dieser Bemühungen stellte sich schubweise ein. Im Februar 2000 freuten wir uns zunächst über die Eröffnung des Dachtheaters und der neuen Toilettenanlagen, banges Warten auf weitere Förderbewilligungen schloss sich an. Schließlich kamen die Zusagen, verzögerte Geldausschüttungen mussten abgewartet werden, aber am 9. Oktober 2004 war es soweit: unser geliebtes Theater am Wall ist komplett renoviert, um eine Kleinkunstbühne erweitert und zu einem Schmuckstück am Rande unserer schönen Altstadt herausgeputzt.

Ziel erreicht

Wir dürfen uns ein wenig zurücklehnen. TaW e.V. hat ein elementares Ziel erreicht, der Erhalt des Theater am Wall ist für Jahrzehnte gesichert. Darüber sind wir natürlich sehr glücklich und das haben wir auch ausgiebig gefeiert. Und wir hoffen, dass auch die, die in finsteren Zeiten an eine so erfreuliche Entwicklung gar nicht glauben mochten, sich noch lange von Herzen mit uns freuen.

Clemens Wallmeier, Ende 2004